Als Peter Weniger 1984 mit seinem Musikstudium in Köln begann, war Patrick Stadler noch nicht einmal auf der Welt. Weniger beschäftigt sich mit Jazz, Stadler ist vorwiegend in der zeitgenössischen klassischen Musik unterwegs. Beide sind 2023 bei saxoPhonia zu Gast. Gemeinsamkeiten haben die beiden Saxophonisten aber weitaus mehr. Welche das sind, das verraten wir in diesem Doppelporträt.

Peter Weniger ist ein Freigeist, dem es sehr viel um den Schöpfungsprozess von Werken geht. Dabei verliert man recht schnell den Überblick über die Anzahl der Schöpfungen, an denen man beteiligt war. „An wie vielen CDs ich tatsächlich beteiligt bin, weiß ich gar nicht mehr“, muss er im Interview schmunzelnd zugeben. „Selbst veröffentlicht habe ich um die 20 Stück.“ Der Jazzsaxophonist hat bereits im Studium damit angefangen, mit anderen gemeinsam in kleinen und größeren Ensembles zusammenzuspielen. „Mein erster Partner in einem Duo war der Pianist Hubert Nuss“, erinnert sich Weniger. „In der Coronazeit haben wir nach 30 Jahren wieder gemeinsam ein Projekt gemacht. Das war wunderbar.“ Schnell kamen zum Duo weitere kleine Besetzungen hinzu, aber auch in größeren Ensembles wie seiner Funkband fühlt er sich sehr wohl. Dabei lehnt Weniger keinen Stil ab – aber: „Es muss einen Kreativprozess geben und es muss gute  Musik sein!“ Was die gute Musik ist: „Für mich ist es gute Musik, wenn mein Motto erfüllt wird: ‚Be in the moment of creation‘. Wenn man ein paar Vorgaben als musikalische Leitplanken hat, aber nicht mehr, oder wenn man komplett frei ist – in solchen Situationen bin ich gerne.“ Die Freiheit ist auch für Patrick Stadler ein wichtiger Teilaspekt der Musik. Er studierte in Basel unter Prof. Marcus Weiss klassisches Saxophon und lernte über ihn die zeitgenössische Musik kennen und lieben. „Daneben interessiert mich auch die freie Improvisation, wo sich die Klassik und der Jazz treffen“, beschreibt er einen weiteren Lieblingsbereich. „Ich liebe Experimente mit verschiedenen Klängen und verschiedenen Instrumenten.“ Auch er ist in kleineren und größeren Ensembles und Besetzungen unterwegs und hat bereits auf vielen Festivals, wie den Donaueschinger Musiktagen, gespielt. Die Band, die sich auf Festivals bisher am meisten profiliert hat, ist das Ensemble Nikel, in welchem er seit 10 Jahren mitspielt. Jedoch im Gegensatz zu Peter Weniger, komponiert Patrick Stadler die meisten seiner Stücke nicht selbst – er arbeitet lieber mit Komponist:innen zusammen. Daran mag er den Austausch und auch das Risiko, nicht zu wissen, was  schlussendlich entstehen wird. „Beim ‚klassischen‘ Saxophon kennt man das Repertoire, es gibt Aufnahmen und Interpretationen, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Bei einem neuen Stück wird man aber mit etwas konfrontiert, was man nicht kennt. Das ist einfach toll“, schwärmt Stadler.

Wo sich Klassk und Jazz treffen

Peter Weniger würde ihm an dieser Stelle wahrscheinlich zustimmen – auch er mag das Neue an Stücken sehr gerne, vor allem, wenn er mit anderen gemeinsam dieses Neue entstehen lassen kann. „Mir ist der Prozess des ,Gemeinsam-etwas-Neues-Schaffens‘ sehr wichtig. Dafür braucht man eine Verbindung, einen sozialen Austausch auf musikalischer und menschlicher Ebene.“ Wenn ein solcher Austausch stattfinde, müsse man aber auch lernen, das eigene Ego im Schrank zu lassen. „Das ist ein Prozess, der erst mit den Jahren kommt. Wie ein guter Rotwein – es braucht einfach ein bisschen Zeit. Die musikalische Situation gewinnt mit der Erfahrung, die man sammelt.“ Auch für Stadler ist der Austausch mit anderen sehr wichtig, nicht nur mit den anderen Musiker:innen im Ensemble, sondern auch mit dem Komponisten oder der Komponistin eines neuen Stückes. „Manche Komponisten arbeiten lieber alleine, aber andere  probieren lieber aus. Man muss da offen sein und natürlich auch ansprechen, wenn etwas einfach nicht geht, beispielsweise wenn der Komponist oder die Komponistin sich eine besonders schwierige Melodie überlegt hat. Es bräuchte manchmal tatsächlich eine dritte Hand oder eine zweite Zunge“, lacht Stadler.

Bewusst Musik hören, sich Zeit
für die Musik nehmen

Eine große Gemeinsamkeit, die Stadler und Weniger teilen, ist, dass sie beide durch die Musik die ganze Welt gesehen haben. Weniger hat beispielsweise  Konzerte in Afrika, Indien, der Karibik und Südamerika gegeben, Stadler war in Südostasien, den USA, Russland, Neuseeland und Kasachstan, um nur ein paar Länder zu nennen. „Es macht tatsächlich extreme Unterschiede, wo man spielt“, erklärt Stadler. „In Córdoba beispielsweise haben uns die Menschen, noch bevor wir überhaupt mit dem ersten Stück angefangen haben, mit ‚Olé, olé‘-Gesang begrüßt. Sie haben uns richtig gefeiert. Da werden die Emotionen ganz anders ausgelebt.“ Ebenfalls gemeinsam haben Stadler und Weniger, dass sie Musik gerne bewusst genießen. „Ich finde Schallplatten sehr toll“, erzählt Weniger, „weil eine Seite genau für ein Glas Wein reicht. Man setzt sich hin und genießt es, dann überlegt man sich, ob man die zweite Seite noch hören will.“ Er bedauert, dass das bewusste Musikhören in der heutigen Zeit an Wert verloren habe. Stadler sieht das ähnlich: „Ich höre gerne aktiv zu. Damit kann man gar nicht aufhören – es öffnet so unendlich viele Türen und Zugänge zur Musik.“ Stadler setzt sich auch gerne mit der Partitur hin und liest mit. „Ich bin immer sehr interessiert an Musik, die ich nicht direkt verstehe – ganz egal, ob ich die Art der Musik mag oder nicht“, schmunzelt er. Man müsse sich die Zeit für die Musik nehmen.

Zu lehren liegt beiden am Herzen

Stadler und Weniger sind beide Professoren – Stadler an der Hochschule für Musik Nürnberg, Weniger an der Universität der Künste Berlin. Beide tun dies sehr gern, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Stadler freut sich sehr über die Abwechslung und den neuen Input, den er in der Arbeit mit seinen  Studierenden erhält. „Es ist einfach eine andere Art der Herausforderung“, erklärt er, „sie von ihrem Stand abzuholen und über mehrere Jahre handwerklich sowie musikalisch zu fördern.“ Weniger gefällt es auch sehr, durch die Studierenden am Puls der Zeit zu bleiben. „Die Hochschule ist wie ein Portal, wo sich Gleichgesinnte austauschen können. Man muss selbst aktiv sein und sich mit den Fragen der Studierenden auseinandersetzen – das ist unglaublich beflügelnd.“ Das Lehren liegt ihnen beiden sehr am Herzen, Stadler und Weniger hatten nicht nur als Professoren mit Studierenden, sondern auch an Musikschulen mit Amateuren zu tun. Stadler beispielsweise hat unter anderem auch D-Kurse betreut. „Im Amateurbereich ist es eine andere Arbeit“, erklärt er. „Dabei ist weniger oft mehr. Es geht schlussendlich ja darum, Erfolgserlebnisse zu haben. Wenn man eine Sache verbessern kann, ist das oft schon ein großer Erfolg.“ Weniger beschreibt das Musikmachen auf Amateurniveau folgendermaßen: „Musik machen mit einem gewissen Austausch miteinander ist auf jedem Niveau möglich. Aber je besser man sein Instrument technisch beherrscht, desto mehr Möglichkeiten hat man in der Ausführung.“ Er selbst hat noch nie bei saxophonia unterrichtet: „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was mich erwartet“, lacht er. „Ich freue mich aber sehr darauf.“ Seine großen Schwerpunkte, Melodie, Harmonie und Rhythmus, möchte er den Teilnehmer:innen näher bringen, denn: „Für manche ist Musik ein großes Mysterium, aber auch einen Berg besteigt man nur Schritt für Schritt. Irgendwo muss man anfangen, und bei dem Prozess gebe ich gerne einen kleinen Denkanstoß.“ Stadler verspricht den Kursteilnehmenden: „Ich möchte Übungen an die Hand geben, die gerade bei den Standardproblemen helfen können. Es geht ja auch im Großen und Ganzen einfach ums Musikmachen.“

Monika Müller