Die Corona-Pandemie hat die Situation vieler Vereine der Amateurmusik zum Teil drastisch verschlechtert. Gleichzeitig hat sie aber auch die Bedarfe sichtbar gemacht und ans Licht geholt, die schon vor der Pandemie existent waren. Um die Vereine nachhaltig zu stärken, baut der BDB in der BDB-Akademie derzeit ein Beratungszentrum auf, das den Vereinen in drei Programmlinien Hilfe und Unterstützung anbietet. Möglich wird das durch eine umfangreiche Förderung durch das Investitionsprogramm des Landes Baden-Württemberg für Verbände und Vereine der Amateurmusik und des Amateurtheaters.

Seit zwei Jahren schränkt die Corona-Pandemie das Vereinsleben in der Amateurmusik in allen Bereichen ein: Proben, Konzerte und die Nachwuchsarbeit sind gar nicht oder nur eingeschränkt und verbunden mit hohem Aufwand und großen Unsicherheiten möglich. Durch die Pandemie wurden Probenlokale zum Problem, gerieten Vereinsfinanzen in Schieflage, gingen Mitglieder im Aktiven- und Jugendbereich genauso verloren wie mitunter der Zusammenhalt. Und die Zukunftsangst wuchs. „Unser neues Beratungsangebot für die Vereine der Amateurmusik wird genau hier ansetzen“, sagt der geschäftsführende BDB-Präsident Christoph Karle. „Wir wollen einen Systemwandel herbeiführen, den Vereinsverantwortlichen die Zukunftsangst nehmen und den Glauben zurückgeben – den Glauben daran, dass es Lösungen und eine gute Zukunft für die Vereine gibt.“ Rückenwind erhält Karles Optimismus jüngst durch eine repräsentative Erhebung des Deutschen Caritasverbandes, die die gesellschaftliche Bedeutung von Verbänden und Vereinen stärker in den Fokus rückt. Laut dieser Umfrage sind 74 % der 14- bis 29-Jährigen und 65 % der über 60-Jährigen der Ansicht, dass Vereine und Verbände wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen. „Die Fördermittel aus dem Investitionsprogramm des Landes sind deshalb in jedem Fall gut investiert“, glaubt Karle. „Denn indem wir die Vereine der Amateurmusik stärken, stärken wir gleichzeitig den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Dass dieser durch die Pandemie in Mitleidenschaft gezogen wurde, das machen aktuell nicht nur die Demonstrationen und Gegendemonstrationen von Gegnern und Befürwortern der Corona-Politik auf deutschen Straßen und Plätzen deutlich. Das unterstreicht auch die Umfrage des Deutschen Caritasverbandes, derzufolge 72 % der Befragten den gesellschaftlichen Zusammenhalt als beschädigt ansehen. „Wir können die Spaltung der Gesellschaft nur überwinden, wenn wir das stärken, was die Menschen zusammenführt und eint – über Generationen, soziale, religiöse und kulturelle Unterschiede hinweg. Und dafür ist das Musizieren in einem Verein oder das Singen in einem Chor geradezu vorbildlich geeignet“, weiß Karle. Er ist sich sicher, dass das neue Beratungsangebot insbesondere den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterstützt, weil es genau die Bereiche abdeckt, in denen die Bedarfe der Vereine hoch sind, nämlich die Themen Proben und Konzertieren, Finanzen, Zukunftsentwicklung und Nachwuchs. Und weil diese Probleme nicht spezifisch sind, sondern die Chöre damit genauso zu kämpfen haben wie die Vereine der Blasmusik, die Liebhaberorchester oder die Zupfmusiker, richtet sich das Angebot an alle Vereine der ganzen Amateurmusik in Baden-Württemberg.

Das neue Beratungsangebot des BDB umfasst drei Programmlinien:

BDB-Programmlinie 1: Proben & Konzerte

Alle Instrumentalvereine und Chöre sollen wieder proben und konzertieren können. Unter dieser Prämisse bietet das Beratungszentrum eine möglichst individuelle Beratung zu den Themen Hygiene, Raumluft, Technik, Akustik, Ausstattung an. Die Beratung geht auf die individuellen Vor-Ort-Gegebenheiten ein und zeigt individuelle Ansätze auf. Im Fokus dieser Beratung steht auch die Frage, welche Produkte am Markt sind und welche zielführenden mittelfristigen Investitionslösungen es gibt. Die Beratung „Raumluftfilter“ beinhaltet ebenfalls eine Analyse der Raumkubatur und der Lüftungsmöglichkeiten auf der Grundlage der Ergebnisse der im Herbst 2021 vom BDB und dem Cluster Wissenschaft in Kooperation mit dem Freiburger Institut für Musikermedizin durchgeführten Modellstudie. Ziel ist es, die Vereine dabei zu unterstützen, geeignete Proben- und Spielbedingungen herzustellen. Zugute kommt dem BDB in diesem Bereich der umfangreiche Erfahrungsschatz und die weitreichenden Vorleistungen der Mitarbeiter:innen im Cluster Wissenschaft, die ein Grundlagenpapier entwickelt und ein umfassendes Musterhygienekonzept erstellt haben, an dem mittlerweile alle Musikverbände im Landesmusikverband Baden-Württemberg partizipieren. Aus der Not heraus hat der BDB in den ersten PandemieMonaten das Angebot und die Webseite „Notruf Verein“ blasmusik Februar 2022 11 BDB entwickelt. Zahlreiche Vereine haben gleichsam den roten Button gedrückt und per E-Mail oder telefonisch Rat und Unterstützung nicht nur angefragt, sondern im individuellen Coaching auch erhalten. In der persönlichen Beratung haben die Vereinsverantwortlichen wichtige Impulse bekommen, die gleichsam als Hilfe zur Selbsthilfe in ihren Vereinen die notwendigen Prozesse zur Verbesserung der Situation anstießen. In der Abschlussdokumentation des Dialogprozesses 2020 „Kulturpolitik für die Zukunft“ wurde „Notruf Verein“ als eines der Best-Practise-Modelle aufgeführt. Auf der Grundlage der Erfahrungen innerhalb der Initiative „Notruf Verein“ wurde die zweite Programmlinie entwickelt, um diese Beratungsleistung künftig allen Vereinen im Landesmusikverband anzubieten.

BDB-Programmlinie 2: Beratung – Coaching – Zukunftsentwicklung

Laut einer Umfrage des BMCO (Bundesmusikverband Chor & Orchester e. V.) haben sehr viele Vereine und Verbände einen hohen Beratungs- und Unterstützungsbedarf, insbesondere im Hinblick auf die Themen Nachwuchsgewinnung, Finanzierung und Förderung, Recht, Öffentlichkeitsarbeit, Leitbild- und Zukunftsentwicklung. Im Rahmen der „Nothilfe Verein“ hat der BDB nicht nur die Erfahrung gemacht, dass schon wenige Beratungstermine ausreichen, um die Vereine weitreichend und nachhaltig zu beraten, sondern dass man dabei sehr gut ohne Vorort- oder Präsenztermine auskommt. Innerhalb dieser Programmlinie soll Beratung deshalb in der neuen Form des E-Coachings auf der Grundlage der „Hilfe zur Selbsthilfe“ angewandt werden. Der erste von maximal fünf Beratungsterminen wird dabei kostenfrei sein, jeder weitere mit 25 Euro veranschlagt. Der BDB bildet dazu zehn Coaches aus und stellt ein Beratungsteam zusammen, das seine Beratungsleistung über die Neuen Medien anbietet. „Neue Medien“ ist das Stichwort, das für diese Programmlinie von großer Bedeutung ist. Durch ihren Einsatz wird sie zu einem niederschwelligen Angebot, das ohne nennenswerten Aufwand und Einsatz genutzt werden kann. „Es ist unser Auftrag, möglichst viele Vereine und Menschen zu erreichen, – auch die in den entlegenen ländlichen Räumen“, betont Christoph Karle. „Durch die Neuen Medien und digitalen Formate gelingt uns das nun viel besser!“ Dass diese in den vergangenen beiden Jahren enorm an Bedeutung gewonnen haben und die Pandemie regelrecht als Katalysator fungierte, der den Prozess der Digitalisierung verstärkt und beschleunigt hat, ist unbestritten. Und sie sind keine Nebenprodukte, die wieder verschwinden werden, sobald das gemeinsame Musizieren und Konzerterleben wieder unbeschwert möglich sind. „Sie werden bleiben“, ist sich Christoph Karle sicher. Mehr noch: Sie entwickeln sich zu einer wichtigen Säule, die die Flexibilität erhöht und die Zugänge erleichtert. Und beides – flexible Konzepte und niederschwellige, barrierefreie Zugänge braucht es insbesondere in der Nachwuchsarbeit. Denn bedingt durch die Pandemie haben alle Vereine aktive Mitglieder verloren bzw. kaum oder keine Möglichkeit gehabt, neue Mitglieder zu gewinnen. Dieses Vakuum gilt es wieder mit neuem Nachwuchs zu füllen für die Zukunftsfähigkeit der Vereine. Und bei der Gewinnung von neuen Mitgliedern gilt es offen zu sein – sowohl im Hinblick auf die Zielgruppe als auch im Hinblick auf die Mittel. „Nachwuchs für unsere Vereine – das sind nicht mehr nur Kinder und Jugendliche. Nachwuchs – das sind auch erwachsene Neu- oder Wiedereinsteiger“, sagt Karle. Diese Zielgruppe für die Vereine erschließen möchte der BDB mithilfe der digitalen Medien der Programmlinie 3.

Programmlinie 3: Modellprojekt – Musik für alle / music4beginners

Die Programmlinie 3 ist ein Modellprojekt zunächst für die Instrumente der Bläserwelt. Bei Erfolg lässt es sich problemlos auch auf Streich- und Zupfinstrumente sowie auf die Stimme und den Gesang ausweiten. Das Modellprojekt beinhaltet ein kostenfreies Online-Schnupperangebot für Erwachsene. Mit einer breit angelegten Kampagne könnten viele interessierte Erwachsene für „Online-Schnupperstunden“ gewonnen werden. In 11 Einheiten á 90 Minuten lernen die Interessierten beim (Wieder-) Einstieg ihres Wunschinstrumentes kennen, erobern sich den 5-Tonraum und lernen erste kleine Melodien zu spielen. Gleichzeitig erhalten alle Teilnehmenden eine persönliche Beratung, bei der sie auf Wunsch mit einem Musikverein, einer Erwachsenenbläserklasse oder Ansprechpartnern vor Ort in Kontakt gebracht und vermittelt werden. Dieses „Matching“ mit den lokalen Vereinen kann auch von den Mitgliedsverbänden unterstützt werden. Die Vereine begleiten die „Beginner“, nehmen sie an die Hand und integrieren sie in den Verein. Mit music4beginners kann so ein kostenfreies Angebot flächendeckend als Modell entstehen, das alle Erwachsenen – auch Senioren – partizipativ einbindet.

Wie sieht das Angebot aus?

Für alle Blasinstrumente, Schlagzeug und elementare Musiklehre wird ein Einsteigermodul mit bis zu 20 möglichen Terminen mit professionellen Dozenten kostenfrei online angeboten. Die BDB-Akademie übernimmt die Gesamtkoordination mit dem breiten Erfahrungsschatz der BDBOnline-Akademie. Aus diesem Modellversuch kann eine zukünftige Einrichtung entstehen, um barrierefrei und sehr effektiv neue Musiker:innen aus allen sozialen Schichten und allen Altersgruppen für das aktive Musizieren in Vereinen und Chören in Baden-Württemberg zu gewinnen. „Für die Vereine und die Amateurmusik insgesamt kann das eine wichtige Stärkung für die Zukunft bedeuten“, weiß Karle. Und genau darauf kommt es jetzt an.