Auf den ersten Blick gleichen sich Musikerbiographien sehr. Das ist bei Nicola Jürgensen und Matthias Schorn nicht anders. Beide haben Wettbewerbe und Preise gewonnen, bei namhaften Professoren studiert und konzertieren und arbeiten nun mit Orchestern und Dirigenten von Weltruf. Diese Stationen und Namen dienen zwar der Einordnung, verraten aber wenig über die Künstlerpersönlichkeiten. Sie zu fassen – dazu reichen auch die beiden Kurzporträts nicht aus. Umso besser, dass Nicola Jürgensen und Matthias Schorn im April bei clariMondo hautnah zu erleben sind, als weltweit führende Künstler und Pädagogen im Konzert und im Meisterkurs.

„Ich lebe meinen Traum“, bekannte Nicola Jürgensen in einem Interview im Jahr 2002. Damals hatte die 27-jährige Klarinettisten gerade den Deutschlandfunk-Förderpreis im Rahmen des Bremer Musikfestes erhalten und war seit einem Jahr Solo-Klarinettistin des WDR-Rundfunkorchesters. Schon zuvor hatte Nicola Jürgensen bei Wettbewerben auf sich aufmerksam gemacht. So wurde sie sowohl mit dem Mozartpreis der Wiesbadener Mozartgesellschaft ausgezeichnet als auch mit dem Preis des Deutschen Musikwettbewerbs der Solisten 1999. Dass sie Musikerin werden wollte, dass stand für die in Hamburger aufgewachsene Musikerin nämlich schon im Teenageralter fest. Gleichwohl ihr die Musik nicht in die Wiege gelegt wurde. Ihre Eltern seien zwar Musikliebhaber, mehr aber auch nicht. „Ich bin da aus der Art geschlagen“, meinte sie augenzwinkernd. Ihre ersten musikalischen Gehversuche unternahm sie am Klavier, was ihr aber rasch zu einsam wurde. Sie wollte gemeinsam mit anderen musizieren – im Ensemble und im Orchester – und kam so zur Klarinette. Studiert hat sie an der Hochschule für Musik und Theater Hannover bei Hans Deinzer und an der Musikhochschule Lübeck bei Sabine Meyer. Letztere hat ihre Klangvorstellungen maßgeblich geprägt.  „Das habe ich von ihr gelernt, diese Auffassung vom Klang, der alle Natürlichkeit behalten muss.“ Auch in der Auswahl des Repertoires ist ihr Sabine Meyer Vorbild. Und so beherrscht sie nicht nur selbstverständlich alle großen Konzert von Wolfgang Amadeus Mozart bis Louis Spohr, sondern auch die Werke zeitgenössischer Komponisten von Pierre Boulez bis Giya Kantcheli und Toru Takemitsu, weil sie der Auffassung ist, „es geht einfach nicht, die eigenen Zeitgenossen nicht zu spielen“. Ihr Traum vom Musizieren in einem großen Orchester ging unmittelbar nach dem Studium in Erfüllung: 1998 wurde sie Soloklarinettisten der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und ab 2002 vereinte sie beim Sinfonieorchester des WDR erfolgreich ihre solistische Karriere mit der Tätigkeit als Orchestermusikerin. Daneben konzertierte sie als Solistin mit einer langen Reihe renommierter Orchester und arbeitete mit namhaften Dirigenten wie Stefan Blunier, Roy Goodman, Hartmut Haenchen, Christopher Hogwood, Carlos Kalmar, Fabio Luisi, Charles Olivieri-Munroe, Christoph Poppen, Peter Rundel und Otto Tausk. Neben diesen zahlreichen Engagements als Solistin und Orchestermusikern verlor sie dennoch das kammermusikalische Musizieren nie aus den Augen. Gemeinsam mit dem Pianisten Matthias Kirschnereit und dem Bratschisten Volker Jacobsen gründete sie das Trio Mirabeau, das 2002 bei den Dresdner Musikfestspielen sei Debüt gab. Darüber hinaus realisiert sie kammermusikalische Projekte mit dem Artemis Quartett, dem Minguet Quartett und dem Trio Paul sowie CD Einspielungen mit selbst arrangierter französischer Kammermusik. Nicht ausbleiben konnte angesichts dieser beachtlichen Karriere, dass Nicola Jürgensen auch als Dozentin immer begehrter und zu einer gefragten Meisterkursdozentin für internationale Meisterkurse wurde. Ebenso folgerichtig war der Schritt an die Hochschule. 2016 unterrichtete sie zunächst als Vertretung an der Folkwang Universität der Künste, bevor sie dort zum Wintersemester 2018 eine volle Professur erhielt. Selbstverständlich blieb auch den Kollegen anderer Musikhochschulen die vielseitigen Begabungen und die besondere Kunstfertigkeit von Nicola Jürgensen nicht verborgen. Und so ist es kein Wunder, dass Nicola Jürgensen von ihrem Kollegen Kilian Herold aus Freiburg die Einladung zum Klarinettenfestival clariMondo erhielt. Dort wird sie in der Meisterkurs-Sparte „Hochschule auf Zeit“ junge Talente unterrichten und das Festival mit ihrer herausragenden Künstlerpersönlichkeit bereichern.

Gleiches gilt für den Solo-Klarinettisten der Wiener Philharmoniker Matthias Schorn. Laut eigener Definition ist Schorn ein Musikant aus Leidenschaft. Dass er die Bezeichnung Musikant wählt, ist dabei keineswegs beliebig oder zufällig. Im Gegenteil. „Musikantisch“ – das ist für ihn, wie er im Gespräch mit seinem Kollegen Daniel Ottensamer für Vienna Philharmonic Live bekundet, das „anpackende Musizieren, das nicht zwangsläufig den Umweg über den Kopf nimmt, sondern aus dem Unterleib heraus direkt in die Beine darf“. In der österreichischen Volksmusik, dort wo Schorns musikalische Wurzeln liegen, dort wird so musiziert. Diese Herkunft prägt bis heute das Schaffen von Matthias Schorn. Er bespielt Wirtshausbühnen, Openair-Festivals und Clubs genauso gern wie die großen Konzerthäuser von Hamburg bis Wien. Dorthin aufgemacht hat er sich bereits im Alter von 16 Jahren, um bei Johann Hindler seine klassische Ausbildung zu erhalten. Dessen Klasse an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien war für Schorn „ein super Kosmos, um zu wachsen“. Besonders prägend: Hindlers ganzheitlicher Ansatz der Natürlichkeit und der Luft. „Hindler hat der Luft so viel Wert gegeben und immer alle Lösungen über den Weg der Luft gesucht“, erklärt er. „Wenn wir Töne ohne Luft spielen, sind es tote Töne“, fasst er den Ansatz für sich zusammen. Dass der Ansatz auch für Schorn funktionierte dokumentiert sein Werdegang nachdrücklich. Er war Preisträger bei mehreren nationalen und internationalen Wettbewerben, Stipendiat der Herbert von Karajan Stiftung Wien und gewann schon mit 21 Jahren sein erstes Probespiel. Über ein Paar Umwege und Stationen beim Deutschen Symphonie Orchester Berlin und den Münchner Philharmonikern kehrte als Solo-Klarinettist an der Wiener Staatsoper bzw. bei den Wiener Philharmonikern nach Wien zurück und begann an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien zu lehren. Seine privilegierte Position als Soloklarinettist der Wiener Philharmoniker bietet ihm die Möglichkeit ständig mit den besten Sängern, Solisten und Dirigenten unserer Zeit zusammenzuarbeiten. Matthias Schorn weiß, dass er klassisch fantastisch ausgebildet und für die Herausforderungen des klassischen Musikbetriebs gewappnet ist. Er gibt sich damit aber nicht zufrieden, sondern macht sich immer wieder auf die Suche. Von seinem Durst nach neuen, befruchtenden Erfahrungen und Begegnungen zeugen genregrenzensprengende Zusammenarbeiten etwa mit Thomas Gansch, Sky du Mont, Krzysztof Dobrek, Armin Müller-Stahl, Michael Köhlmeier, Erika Pluhar, Konstantin Wecker, Julia Stemberger, August Zirner, Christoph Moschberger, Frank Hoffmann, der NDR Big Band, dem radio.string.quartet, den New York Gypsy All Stars oder der Musicbanda Franui. Solche Erfahrungen und Begegnungen holt er sich mittlerweile auch nach Hause. In seinem Heimatort im niederösterreichischen Triestingtal hat Matthias Schorn einen stillgelegten Bahnhof gekauft und betreibt darin eine „Haltestelle für Kunst aus allen Richtungen“. „Ich bin Fahrdienstleiter“ meint er augenzwinkernd und erzählt: „Dort wo früher Gleise und Weichen zusammengekommen sind – mir gefällt auch das Bild des Schwellenüberwindens sehr gut – dort soll Kunst, Musik, Literatur und Kino stattfinden“. Seine Idee: in das strukturschwache Gebiet kulturelle Nahversorgung hinzubringen. Um mit seiner Kulturhaltestelle auch in den herausfordernden Pandemiezeiten einen Beitrag zu – wie er sagt – „gesamtsolidarischen Miteinander“ leisten zu können, wurde Schorn kreativ: er bietet nicht nur kostenlose Streams und Aufzeichnungen für alle an, die nicht zu seinen Veranstaltungen kommen können, sondern auch Hausbesuche: „Wenn Sie – so wie ich – das Gefühl haben, dass diese digitale Substitution kein adäquater Ersatz für ein Liveerlebnis sein kann, dann schicken Sie eine Nachricht. Ich werde einen Termin vereinbaren, um persönlich (und selbstverständlich mit ausreichend Abstand) für Sie in Ihrem Wohnzimmer bzw. vor Ihrem Fenster im Garten (je nach Wunsch) einen Ländler oder ein Schubert-Lied zu spielen“, verspricht er auf seiner Webseite und wer Matthias Schorn kennt, der weiß, dass er hält, was er verspricht.

Info: Erleben Sie Nicola JÜrgensen und Matthias Schorn sowie weitere weltweit führende Klarinettisten, Künstler und Pädagogen beim BDB-Klarinettenfestival clariMondo vom 28. April bis 1. Mai 2022 in der BDB-Musikakademie – entweder als aktiv Teilnehmende oder als Besucher:in eines der Festivalkonzerte. www.bdb-akademie.com/clarimondo/