Bei Sinfonieorchestern, großen Opern- und Theaterhäusern sind Kinder- und Familienkonzerte schon lange eine feste Größe. Wenn es dort gelingt, Kinder mit altersgerechten Themen für Musik zu begeistern, warum dann nicht auch in der Blasmusik? Marco Geigges hatte daran keinen Zweifel. Dank der Förderung durch das bundesweite Förderprogramm „Neustart Amateurmusik“ konnte er seine innovative Idee verwirklichen und im März 2022 mit dem Musikverein Böhringen das Familienkonzert Aschenputtel als Modellprojekt auf die Bühne bringen.

Mit seinem Familienkonzert wollte der Musikverein Böhringen gleich drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Nach Lockdown und langer Corona-Pause wollte er endlich zurück in die Öffentlichkeit und für alle wieder sichtbar werden. Gleichzeitig wollte er seine Nachwuchsarbeit stärken und eine Zielgruppe ansprechen,
die man sonst nicht so leicht erreicht: Familien mit Kindern. „Wann hat man schon einmal ganze Familien im Konzert?“, fragte Marco Geigges. Die  Vereinsführung versprach sich indes nicht nur eine positive Außenwirkung. Auch der Zusammenhalt des Orchesters sollte dadurch eine weitere Stärkung erfahren. „Für unsere Musikkapelle ist dieses Konzert wieder ein einmaliges und außergewöhnliches Projekt, das dazu beiträgt, dass wir ein schönes Ziel vor Augen haben. Alle sind hoch motiviert!“, wusste Vereinsvorsitzender Peter Lingg. Für das bundesweite Förderprogramm „Neustart Amateurmusik“ war die von Marco Geigges, dem rührigen Dirigenten des Musikvereins Böhringen, entwickelte Projektidee mit dem Titel „Musikverein4Kids“ jedenfalls wie gemacht. Zumal
das Vorhaben von Anfang an als Modellprojekt mit Vorbildcharakter angelegt war. „Es geht hier um ein Modellprojekt. Andere Blasorchester sollen es kopieren können“, betonte Marco Geigges. Die Fachjury ließ sich davon nur zu gerne überzeugen und erteilte dem Projektantrag des Musikvereins Böhringen als einem von 109 den Zuschlag aus insgesamt über 1.400 Anträgen. Die Förderung ermöglichte es dem Verein, eine Kinderkonzert-Komposition in Auftrag zu geben und
das Familienkonzert beispielsweise im Hinblick auf Werbung und Location größer als sonst üblich aufzuziehen. Den Kompositionsauftrag erhielt der Schweizer  Komponist Roman M. Silberer, der in Sachen Märchenvertonungen kein unbeschriebenes Blatt ist. Seine Aschenputtel-Vertonung wurde nicht nur dem Anspruch gerecht, dass es im Sinne des Modellprojektes für Mittelstufenorchester gut machbar ist. Mit seinen eindrücklichen, schönen Melodien und der guten Instrumentation kam es zudem beim Orchester auf Anhieb gut an und wurde von den Musiker:innen gerne gespielt. „Roman Silberer ist es sehr gut gelungen, die Handlung in die Musik zu übersetzen“, bekundete Marco Geigges. „Er erzeugt besondere Effekte und setzt außergewöhnliche Instrumente wie die Lotuspfeife ein. Das macht es für Kinder interessant.“ Herausforderungen gab es für das Oberstufenorchester dennoch zu meistern. „35 bis 40 Minuten Musik am Stück waren für das Orchester und die Probenarbeit eine Herausforderung“, berichtete Marco Geigges. „Bei einem Werk von insgesamt rund 800 Takten,
kommt es vor, dass manche Register 150 Takte Pause haben. Da gilt es, die Konzentration hochzuhalten.“ Als größte Herausforderung indes erwies sich die Pandemie. Sie durchkreuzte die ursprüngliche Terminplanung und führte Mitte November, unmittelbar am Probenwochenende, zur Absage des  Familienkonzerts. Nach der Sommerpause hatten die 66 Musiker:innen unter der Leitung von Marco Geigges mit den Proben für das musikalische Märchen begonnen. Beim Probenwochenende sollte der Feinschliff für die Aufführung am 5. Dezember 2021 erfolgen. Angesichts des Aufflammens der Delta-Variante
und explodierender Infektionszahlen musste die Vereinsführung die Reißleine ziehen und beides absagen. „Alles andere wäre nicht vernünftig gewesen“,  rekapituliert Vereinsvorsitzender Peter Lingg. „Da wir mit unserem Konzert insbesondere Familien und Kinder ansprechen, wäre mit einer hohen Zahl noch nicht geimpfter Kinder im Saal zu rechnen gewesen“, erklärte er. „Das konnten wir gegenüber der Gesellschaft und unseren Orchestermitgliedern zum
damaligen Zeitpunkt nicht verantworten“. Dank der Verlängerung des Förderzeitraumes bis Ende Mai 2022 konnte der Musikverein Böhringen sein Projekt dann aber doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Denn bereits zwei Monate später hatte sich die Situation entspannt, der Musikverein konnte die Proben wiederaufnehmen und auf einen neuen Konzerttermin im März hinarbeiten. Vor dem Hintergrund der Pandemie blieb es aber weiter spannend. „Wir können nur hoffen, dass alle gesund bleiben und es am Wochenende keine Besetzungsprobleme gibt“, sagte Lingg im Vorfeld der Aufführung. Seine Hoffnung erfüllte sich und wie geplant konnte am 13. März 2022 die Uraufführung des musikalischen Märchens „Aschenputtel“ im Milchwerk Radolfszell über die
Bühne gehen. „Zwei Dinge sind heute wunderbar“, freute sich Vorsitzender Peter Lingg. „Zum einen haben wir heute trotz Corona sehr viele Gäste und wir können heute unser Projekt Musikverein4Kids mit einem Konzert abschließen.“ Auch im Orchester war die Freude darüber groß. Mit begeisternder
Spielfreude nahmen die über 60 Musizierenden das Publikum aus Kindern, Eltern und Großeltern mit in die Märchenwelt und die Geschichte von Aschenputtel. Unterstützt wurden sie dabei durch den Erzähler Ottokar Graf, der in einem Ohrensessel am Bühnenrand Platz genommen hatte und aus einem Märchenbuch vorlas, während parallel dazu Illustrationen des Märchens gezeigt wurden. „Für Kinder ist eine Visualisierung der Handlung wichtig. Wir hatten zuerst überlegt, ob wir Szenen aus dem Märchen schauspielerisch darstellen, uns dann aber für die Illustrationen entschieden“, berichtete Marco Geigges. Die Musik des Orchesters aber ließ die Bilder und die Erzählung erst richtig lebendig werden. Das laute Gezwitscher der Vögel, die Aschenputtel beim Sortieren der Linsen
helfen, die Peitschenschläge des Kutschers und die festliche Atmosphäre beim Ball am Königshof – all das wurde für die Kinder durch die Musik zum sinnlichen Erlebnis und zog sie in den Bann. Der Komponist Roman Silberer hatte es sich zudem nicht nehmen lassen, die Harfenstimme in seinem Werk selbst zu spielen. Mit tosendem Applaus bedankte sich das Publikum für dieses wunderbare Konzerterlebnis. Einziger Wermutstropfen für das Orchester und seinen Dirigenten
Marco Geigges: „Schade, dass wir nur eine Aufführung hatten.“ Dieses Manko lässt sich leicht beheben. Am besten durch viele Vereine, die dem Beispiel des Musikvereins Böhringen folgen, um bei sich vor Ort Kinder für die Musik zu begeistern und das Interesse am Instrumentalspiel zu wecken. Das Konzept dafür hat der Musikverein Böhringen nun geliefert.

Martina Faller