Wenn das Horn seinen weichen, vollen Klang entfalten kann, ist Jose-Vicente Castello in seinem Element. Der Professor für Horn an der Hochschule für Musik Freiburg und der ESMUC in Barcelona hat zwar erst verhältnismäßig spät zum Beruf des Musikers gefunden, ist aber heute einer der renommiertesten Hornspieler Spaniens – und im Juni Dozent bei den Horntagen hornissimo in Staufen.

Als einer der besten Hornisten in Spanien ist José Vicente Castello bekannt und auch berühmt in der Musikszene Europas. Er wurde in Alicante geboren, studierte in Madrid unter Prof. Radovan Vlatkovic und wurde 2010 zuerst Professor in Barcelona und 2020 an der Hochschule für Musik Freiburg. Soweit erst einmal der akademische Weg. Besonders interessant dabei ist, dass Castello nicht nur Musik studierte – auch Philologie gehörte zu seinen Studien und war sogar das erste Fach, in dem er sich an der Universität einschrieb. Warum er nicht gleich mit Musik begann, erklärt er mit einem Augenzwinkern: „Mein Leben war sicherlich nicht für die Musik bestimmt, da es in meiner Familie keinen Musiker gibt, stellen Sie sich vor, mein einziger Bruder ist Notar!“ Castello wuchs in einer Kleinstadt auf, in der auch seine Entscheidung für das Horn nicht aktiv von ihm, sondern vielmehr für ihn gefällt wurde. In einem Interview mit dem French Horn Magazine aus dem Jahr 2018 erzählt er: „Ich habe mit 10 Jahren angefangen, Horn zu spielen. Es gibt in meiner Region eine große Tradition der Blasmusik und für mich wurde das Horn ausgesucht. Das war nicht meine Entscheidung.“ Doch schnell verliebte er sich in das Instrument: „Vor allem aus ästhetischen Gründen denke ich, dass es eines der natürlichsten Designs ist, das es gibt. Zweitens ist sein Klang der menschlichen Stimme am ähnlichsten, und es ist kein Zufall, dass Komponisten es ausgewählt haben, um einige der schönsten Melodien der Musikgeschichte darzustellen.“ Die Musik als Beruf und Berufung entdeckte Castello erst mit etwa 18 Jahren und traf drei Jahre später auf seinen späteren Professor und Mentor, Prof. Radovan Vlatkovic, der ihn ermutigte, einen Schritt nach vorn zu machen. Diese Begegnung prägte ihn sehr, erinnert sich Castello. „In diesem Moment war es entscheidend, die Zustimmung von jemandem zu haben, den ich immer bewundert hatte, und ich kann die Hingabe nicht erklären, die ich in den folgenden Jahren hatte, um all das Repertoire zu spielen, das ich vorher nicht gemacht hatte.“ Vorher hatte er immer gedacht, dass die Berufsmusik ein sehr umkämpftes und schwieriges Pflaster sei. Nun versuchte er es selbst – mit ganzem Herzen und der Konsequenz, dass erst einmal auch das Privatleben darunter leiden musste. „Ich hatte nichts anderes im Kopf, als zu studieren“, erinnert sich Castello lächelnd und relativiert es wieder: „Aber ich denke, das ist nichts Besonderes! Denn nur so kann man im Leben etwas erreichen: mit Leidenschaft, Mühe und Hingabe.”  Er selbst hat dadurch definitiv sehr viel erreicht. Castello gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen, beispielsweise den Bärenreiter Urtext Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD in München im Jahr 2005. Er ist Solohornist beim Mahler Chamber Orchestra und hat als Gast und Solohornist bei diversen renommierten Orchestern mitgewirkt, wie beim London Philharmonic Orchestra, der Berliner Staatskapelle und vielen mehr. Jedoch ist er nicht nur mit Orchestern unterwegs – auch bei Kammermusikfestivals ist er bereits international aufgetreten, zum Beispiel beim Marlboro Music Festival in den USA, dem Rencontres Musicals de Evian in Frankreich oder dem Edinburgh Festival in Schottland. Seine Heimat Spanien ist ihm dabei auch sehr wichtig. So leitet er seit 2010 auch das „Festival Musics en Residencia d’Alella“ in Barcelona. Das macht ihm sehr viel Spaß. Besonders freut Castello auch, dass sich die Musikszene in seiner Heimat Spanien in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt hat. Dies macht er unter anderem daran fest, dass in Jugendorchestern, die europaweit nach Mitgliedern suchen, der Anteil spanischer Jugendlicher stark gestiegen ist. „In jungen Orchestern wie dem European Union Youth Orchestra oder  dem Gustav Mahler Jugendorchester sieht man, dass die Mehrheit Spanier sind. Es macht uns stolz, dass nichts falsch gemacht wurde“, berichtet er. Den Grund für diese Entwicklung sieht er darin, dass sich Spanien in der Musikausbildung an anderen Ländern orientiert. „Wir orientieren uns da am deutschen und amerikanischen Modell der High Schools of Music“, erklärt er. Wenn Castello seine Studenten unterrichtet, hat er nicht nur angehende Solisten als Schüler, sondern auch angehende Orchestermusiker. Beide Facetten gefallen ihm sehr, jedoch ist die Schwierigkeit dabei, die Feinheiten herauszuarbeiten – denn die beiden Aspekte sind sehr verschieden. „Der Solist ist der direkte Interpret einer musikalischen Botschaft mit allem, was sie repräsentiert“, erklärt er. „Er tragt die absolute Verantwortung für den Stil, den Charakter, die Tempi und so weiter. Der Orchestermusiker dagegen ist Teil einer Gruppe und muss, obwohl er zu bestimmten Zeiten Verantwortung tragt, im Allgemeinen eine große Fähigkeit zur Teamarbeit und zum Zuhören entwickeln, was um ihn herum passiert. Er beteiligt sich auf andere Weise an der Interpretation des Werkes.“ Beim Unterrichten verfolgt Castello seine ganz eigene Philosophie: Er mochte, dass seine Studenten eine Balance im Geist und im Körper fühlen. Doch was genau meint er damit? Generell ist eine Ausgeglichenheit gemeint, die keine Spannungen beinhaltet. „Eine Balance im Körper bedeutet, sich bewusst zu sein, dass alle Elemente, mit denen wir das Horn spielen, in perfekter Ordnung und Balance sind, sodass alles unabhängig vom musikalischen Kontext normal fliest“, erklärt Castello. „Auch die Effizienz gehört dazu, also mit minimalem Aufwand das Maximale zu erreichen.“ Die Balance im Geist sei dagegen etwas komplexer. „Im Grunde ist es für mich grundlegend, eine gewisse Normalität in Familie, Beruf und Gefühlsleben zu suchen“, beschreibt er dies. Eine Ausgeglichenheit also im körperlichen, physikalischen Bereich und im seelischen, psychischen Bereich. Um das auch seinen Studenten mitgeben zu können, hat er selbst auch schon Pilates und Yoga gemacht, allerdings „nur, um meine diesbezüglichen Informationen zu erweitern und mehr Studenten zu helfen. Ich habe auch das Glück, großartige Ärztefreunde zu haben, die ich regelmäßig mit Fragen belästige, von anatomischen bis zu neurologischen Faktoren“, schmunzelt er. Allerdings sind nicht nur die physikalischen Aspekte des Musikmachens für Castello wichtige Punkte, die man als Musiker berücksichtigen sollte. Er vertritt auch die Ansicht, dass Studierende und angehende Musiker möglichst alles über die Musikkultur wissen sollten – und vieles andere auch. „Ich glaube, dass wir als Künstler eine Sensibilität für alle Kunstformen entwickeln müssen, nicht nur für Literatur, sondern auch für Bildhauerei, Malerei, Architektur … alles kann zu unserer Wahrnehmungsfähigkeit für Schönheit und unserer humanistischen Entwicklung beitragen. Das ist weit mehr als nur ein Instrument gut zu spielen, es ist etwas Tieferes und Höheres.“ Diesen Monat wird Castello für einen Tag bei hornissimo, den Horntagen in Staufen, als Dozent dabei sein. Darauf freut er sich sehr: „Ich erwarte nichts anderes, als Menschen zu treffen, die sich für die Welt des Waldhorns interessieren und ihr Wissen erweitern möchten, und ich hoffe, dass ich etwas dazu beitragen kann.“

Monika Müller